Inhalt:
1.) Zusammenfassung
2.) Problematik und Lösungsansatz
3.) Pfarrerbefragungen
4.) OK-Modell
5.) Modellrechnungen
6.) Schlußbemerkungen
1. Zusammenfassung
Die "gerechte" Verteilung der Gemeindepfarrerstellen bedeutet kein
sonderliches
Problem, solange sich die zu versorgenden Kirchengemeinden nicht allzu
sehr unterscheiden. Differiert aber beispielsweise in einem
Kirchenkreis
die Gemeindegröße bzw. die von den einzelnen (Ein- oder
Mehr-Personen-) Pfarrämtern zu betreuende Gliederzahl beträchtlich, sind häufig
und wohl EKD-weit gravierende Fehlsteuerungen zu beobachten. Pfarrer in
Ein-Personen-Pfarrämtern,
sei es in Vollzeit- oder Teilzeittätigkeit, werden gegenüber
ihren Kollegen in Mehr-Personen-Pfarrämtern benachteiligt,
weil bei der Stellenbemessung der Fixanteil in der Tätigkeit der
Gemeindepfarrer gar nicht oder nur unzureichend eingeplant wird.
Empirische Studien des Verfassers aus den Jahren 1997 und 2001 deckten
den latent bekannten Mißstand auf und gestatteten vor allem
dessen Quantifizierung.
Aus den Studienergebnissen wurde ein Verfahren zur
Pfarrstellenbemessung abgeleitet, mit dem die
Ungleichbelastung der Gemeindepfarrer bis auf einen zumutbaren Rest
reduziert werden kann. Dieses Steuerungsmodell basiert auf einer abstrakten Sicht der
Pfarrertätigkeit. Gewichtungen der realen Tätigkeitsfelder
entfallen. Daher müssen die Pfarrer auch nicht herausstellen,
warum gerade sie unter
erschwerten
Bedingungen tätig sind. Dennoch bleibt genügend Freiraum zur
"Handsteuerung", um auf unstrittige
Härtefälle eingehen zu können.
Abschließend erfolgt eine Kurzkritik einiger anderer Verfahren
zur Pfarrstellenbemessung.
Ferner wird auf die Erfordernis von Strukturänderungen
eingegangen.
2. Problematik und Lösungsansatz
Vordergründig betrachtet, stellt Pfarrstellenbemessung einen
reinen Verteilungsvorgang
dar.
Die Zahl der in einem Planungsgebiet (z.B. einem Kirchenkreis oder
einer
ganzen Landeskirche) finanzierbaren Stellen für Gemeindepfarrer
und die Zahl der von allen
Nachfragern gewünschten Planstellen (z.B. den
Kirchengemeinden
eines Kreises oder allen Kirchenkreisen einer Landeskirche) wird
aufeinander abgestimmt und die Stellenbesetzung dann für die
aktuelle
Planungsperiode festgeschrieben. Diese Sicht wird aber der Sache nicht gerecht.
Erkannt werden
muß, daß mit der Verteilung der Pfarrerkapazität
maßgeblich in das kirchengemeindliche Leben in den Gemeinden des
Planungsgebiets eingegriffen wird.
Weiterhin muß erkannt werden, daß die Kirchengemeinden
eines Planungsgebiets (oder gar die einzelnen Pfarrbezirke) keine Ansammlung von separat zu betrachtenden
Einheiten sind. Zwischen ihnen bestehen (direkte oder indirekte)
Interdependenzen. Deshalb ist die ganzheitliche Sicht auf das
Planungsgebiet nötig. Abstraktion zeigt dann den Weg hin zur
Problemlösung.
Die Kirchengemeinden des Planungsgebiets bilden ein "dynamisches
kybernetisches System", abkürzend "Prozeß" genannt. Dieser
gehört zur Klasse der "sozialen Prozesse". Pfarrstellenbemessung
ist damit als Akt der Prozeßsteuerung erkannt. Dazu
liefert die Systemtheorie bzw. die sie umfassende Kybernetik allgemein
gültige Erkenntnisse. Diese sollten bei Entwicklung und Einsatz
einer Methode zur Stellenbemessung unbedingt beachtet werden.
Eine Kybernetik-Grunderkenntnis, die wohl unmittelbar
nachvollziehbar ist, ist Folgendes: Wenn ein Prozeß eine
Ressource
nach einer bestimmten Gesetzmäßigkeit verbraucht, sollte
diese Ressource möglichst nach der gleichen
Gesetzmäßigkeit zugeführt werden. Geschieht das nicht,
gerät der Prozeß im Regelfall aus dem Gleichgewicht und kann
im Extremfall kollabieren.
Wird seitens der Planungsverantwortlichen nicht beabsichtigt, das kirchengemeindliche Leben gravierend oder gar revolutionsartig zu ändern, sollte daher zuerst das Verbrauchsgesetz für Pfarrerkapazität ermittelt werden. Das bedeutet aber nicht, mit Qualitätsanforderungen wie an naturwissenschaftliche Gesetze die Formel zu suchen, die hochpräzise den realen Verbrauch an Pfarrerkapazität im aktuellen Planungsgebiet beschreibt. Da die später mit dieser Formel zu ermittelnden Kapazitäts-Ansprüche um mehrere Zehntel auf rechtlich machbare Stellen gerundet werden müssen, reicht eine Tendenzaussage über den Verbrauch an Pfarrerkapazität in Abhängigkeit von der Gemeindegliederzahl und allenfalls von sehr wenigen anderen Parametern.
Die abstrakte Sicht auf
die
Arbeit der Gemeindepfarrer zeigt nun, daß sich alle pfarramtlichen
Aktivitäten
aus "fixen" und "proportionalen" Anteilen zusammensetzen. Von der
Gemeindegliederzahl unabhängiger Aufwand wird hier als "fix"
bezeichnet, und mit "proportional" solche Aktivitäten, deren
Zeitbedarf sich proportional zur Gliederzahl verhält. Für die
Formulierung des Verbrauchsgesetzes heißt das, neben der
Gliederzahl sind keine
weiteren
Parameter nötig, und es reicht eine lineare Funktion. Beispiel eines
rein proportionalen Arbeitsfeldes sind die Kasualien, rein fix ist
beispielsweise die eigene Weiterbildung und Konfirmandenunterricht ist
ein Arbeitsfeld, das neben fixen auch proportionale Anteile
enthält.
Bis in die 90er Jahre hinein (in einigen Regionen aber auch danach!)
wurde bei der Pfarrstellenbemessung vielerorts
großzügig vorgegangen. Eine Folge ist die damals verbreitet
zu
beobachtende Überversorgung großer Kirchengemeinden,
verglichen mit den anderen Gemeinden des jeweiligen Planungsgebiets.
Daneben gibt es auch Regionen, in denen selbst kleinen Kirchengemeinden
(ca. 1.000 Glieder oder weniger) eine ganze
Pfarrerstelle und das heißt Überkapazität bewilligt
wurde. Je kleiner aber die Anzahl der in einem kirchlichen
Planungsgebiet finanzierbaren Stellen für Gemeindepfarrer wird,
desto sorgfältiger muß die Verteilung der
Pfarrerkapazität auf die nachfragenden Instanzen erfolgen.
Wem es gelingt, sich von der lokalen
Sicht auf die eigene Kirchengemeinde zu lösen, der sollte folgende
Ziele als anstrebenswert
erkennen: Die Pfarrerkapazität ist so zu verteilen, daß
1.) alle Gemeindepfarrer gleich stark mit Arbeit belastet sind und
2.) alle Kirchenglieder gleich intensiv von ihren Pfarrern betreut
werden können.
Dabei ist Punkt 2 so zu verstehen, daß in allen Kirchengemeinden
die gleiche Relation ("PF") zwischen der für Proportionales
verfügbaren Pfarrerkapazität und der zu betreuenden Zahl von
Gliedern
besteht.
Um diese Ziele (vom Grundsatz her) erreichen zu können,
muß zweierlei festgelegt bzw. ermittelt werden:
1.) Der Proportionalitätsfaktor PF.
2.) Der Kapazitätsansatz für Fixaufwand im einzelnen Pfarramt.
Dabei darf nicht übersehen werden, daß der Fixaufwand von
der Pfarramtsgröße abhängt! Bei beispielsweise 9.000
Gliedern und 3 Pfarrern fällt mehr Fixes an als bei 2.500 Gliedern
und einem Pfarrer.
3. Pfarrerbefragungen
An empirischen Methoden stehen Befragung und Beobachtung der Pfarrer
zur Verfügung. Die Fremdbeobachtung entfällt allein aus
Kostengründen. Gegen die Selbstbeobachtung
sprechen mehrere
Gründe. Beispielsweise würde sie kaum jemand über den
repräsentativen Zeitrahmen von einem Jahr durchhalten. Daneben ist
zu fürchten, daß verschiedene Personen vergleichbare
Aktivitäten unterschiedlich klassifizieren. Weiterhin wäre
anzunehmen, daß vergleichbare Aktivitäten von einzelnen
Pfarrern protokolliert, von anderen aber weggelassen würden. Die
Befragung per zugestelltem
Fragebogen hätte ähnliche Schwachstellen wie die
Selbstbeobachtung. Deshalb wurde die reale Pfarrertätigkeit in
strukturierten Interviews erfaßt, die sämtlich vom Verfasser
durchgeführt wurden. Zwei derartige Umfragen liefen in den Jahren
1997 und 2001.
Unwahrscheinlich ist, daß die Antworten der objektiven Wahrheit entsprechen. So
reichte beispielsweise die (angebliche) wöchentliche Durchschnitts-Arbeitszeit der
Vollzeitpfarrer von unter 40 bis über 70 Stunden. Die zu
vermutende
individuelle Prägung der Antworten wurde aber dadurch weitgehend
neutralisiert, daß die Auswertung auf der prozentualen Aufteilung der
gesamten
Tätigkeit des einzelnen Pfarrers basiert und nicht auf absolutem Zeitaufwand.
Zensur fand selbst bei offensichtlichen Falschaussagen nicht statt.
Beispiel ist der von einem Pfarrer behauptete Aufwand von durchschnittlich 26 Stunden
für
die Vorbereitung des sonntäglichen Regelgottesdienstes (bei einer
Wochenarbeitszeit von in diesem Fall unter
70
Stunden). Der Einfluß solcher Antworten auf die Ergebnisse
reduziert sich zum einen, weil wohl auch Untertreibungen vorkamen. So
benötigte ein Pfarrer durchschnittlich nur 2 Stunden für die
Vorbereitung seines Gottesdienstes. Zum andern wurden beim Komprimieren
der Einzelantworten statt des gewöhnlichen arithmetischen Mittels
"Mittelwerte zweiter Stufe" benutzt. Dabei werden die im mittleren
Bereich des jeweiligen Antwortspektrums liegenden Antworten
stärker, die an den Rändern liegenden schwächer
gewichtet.
Erkannt werden muß, daß die Angaben zu den einzelnen Arbeitsfeldern nur eine Zwischenstufe darstellen. Die befragten Pfarrer mußten auch einschätzen, wie das einzelne Arbeitsfeld auf die Kategorien Fix und Proportional aufzuteilen ist. Als Endantwort des einzelnen Pfarrers ergaben sich der Fix- und der Proportionalanteil seiner Tätigkeit. Diese individuellen Werte wurden dann weiter komprimiert zu insgesamt 3 Kennzahlen pro Umfrage.
Besonders wichtig bei der Bewertung der ermittelten Kennzahlen ist
zu beachten, daß die Aussagen zum Fixanteil und zur
Betreuungsleistung gekoppelt
sind. Sollte beim Fixanteil der eigenen Arbeit versehentlich oder
absichtlich von vielen
Interviewten übertrieben worden sein (z.B. 26 h
Predigtvorbereitung), wurde zugleich bei der Betreuungsleistung
übertrieben (großes PF). In dem noch abzuleitenden
Steuerungsmodell für Pfarrerkapazität haben solche
Übertreibungen aber allenfalls marginale Folgen, weil sie sich
weitgehend
oder vollständig neutralisieren.
Erste Umfrage
Im Frühjahr 1997 wurden alle 21 Voll- und Teilzeit-Gemeindepfarrer
des zur Ev.-luth. Landeskirche Hannovers gehörenden Kirchenkreises
Winsen/Luhe befragt. Die Pfarrerstellen waren auf 15 Pfarrämter
verteilt. In die Auswertung ging zusätzlich von Diakonen erbrachte
"Pfarrerleistung" im Umfang von ca. einer Pfarrerstelle ein.
Die Zusammenfassung der Antworten nach Pfarrämtern, in Relation gesetzt zur Anzahl der jeweils zu betreuenden Kirchenglieder ergab PF=5.570. Mit diesem Wert muß später der in einem Pfarramt für Proportionales verfügbare Teil der gesamten Pfarrerkapazität multipliziert werden, um die "ideale" Gliederzahl zu erhalten.
Mit Blick auf das Steuerungsproblem, bei dem über den
Kapazitäts-Bedarf der
einzelnen Kirchengemeinden bzw. der Pfarrämter argumentiert wird,
wurde aus den Antworten
"Übergemeindliches" herausgenommen, weil es aus Gemeindesicht
nicht
erforderlich ist. Der Rest wurde wieder auf 100% normiert.
Hierauf
basieren die weiteren Auswertungen.
Gestützt auf die Antworten der Vollzeitpfarrer, die in
einstelligen Pfarrämtern wirkten, ergab sich dann als Fixansatz im 100%-Pfarramt ca. 65%
der Stelle
Gestützt auf die Antworten aller Vollzeitpfarrer zu den relevanten
Arbeitsfeldern ergab sich als Fixansatz
für weitere Vollzeitpfarrer im Pfarramt je ca. 25% einer
Stelle.
Anzumerken ist, daß beim Fixanteil für den ersten Pfarrer
der gemeindebezogene Teil dominiert. Die Ansätze für weitere
Pfarrer enthalten neben personenbezogenen auch gemeindebezogene Teile
sowie den Aufwand zur Pfarrerkoordinierung in mehrstelligen
Pfarrämtern.
Zweite Umfrage
Im Jahre 2001 wurde eine analoge Umfrage im Bereich der Evangelischen
Kirche der Pfalz durchgeführt. Sie erstreckte sich auf 50 Pfarrer
aus 32 repräsentativ ausgewählten Kirchengemeinden mit
jeweils eigenem Pfarramt. Die
Arbeitsfelder waren diesmal etwas anders abgegrenzt. Wichtig ist
zu wissen, daß Pfälzer Pfarrer regelmäßig
als
Lehrer an Schulen tätig sind. Die nachstehenden Zahlen beziehen
sich auf die Pfarrertätigkeit im engeren Sinne (i.e.S.).
Lehrtätigkeit bleibt ausgeblendet. Sie wird später bei den
Modellrechnungen eingearbeitet.
Als Umrechnungsfaktor ergab sich
PF=4.994.
Auch bei dieser Umfrage wurde Übergemeindliches herausgenommen und
der Rest wieder auf 100% normiert.
Gestützt auf die Antworten der Vollzeitpfarrer, die in
einstelligen Pfarrämtern wirkten, ergab sich dann als Fixansatz im 100%-Pfarramt ca. 63%.
Gestützt auf die Antworten aller Vollzeitpfarrer zu den relevanten
Arbeitsfeldern ergab sich als Fixansatz
für weitere Vollzeitpfarrer im Pfarramt je ca. 28%.
Vergleich der Ergebnisse
Der Vergleich der vorstehend genannten Zahlen ist aus verschiedenen
Gründen wenig sinnvoll. Ein Grund wurde schon angesprochen: Eine Pfarrergruppe erteilt
zusätzlich Schulunterricht, die andere nicht. Ein zweiter ist die
unterschiedliche Bezugsgröße bei der Berechnung der
Prozentwerte. Wird beispielsweise
die Betreuungsleistung der Pfälzer Pfarrer auf ihre gesamte Tätigkeit und nicht
auf
die Pfarrertätigkeit i.e.S. bezogen, ergibt sich PF=5.675, also
ein
Wert, der nicht mehr weit unter, sondern geringfügig über dem
Winsener PF-Wert liegt. Diese PF-Werte dürfen miteinander
verglichen werden. Die Abweichung könnte bedeuten, daß
Pfälzer
Pfarrer bei ihrer Tätigkeit i.e.S. andere Akzente setzen als ihre
Winsener Amtskollegen. Ebensogut könnten die Pfälzer bei
ihren
Fixanteilen stärker übertrieben haben als die Winsener
Pfarrer. Das ist aber nicht nachprüfbar, so daß der
punktuelle Vergleich der Ergebnisse unergiebig ist. Informativer ist,
später die mit beiden Varianten des
Kapazitäts-Steuerungsmodells erzielten Ergebnisse zu vergleichen.
4. OK-Modell
Das OK-Modell (Oetzmanns Kapazitätssteuerungs-Modell)
zur Steuerung der Pfarrerkapazität in einem Planungsgebiet, von
Anwendern auch "Methode Oetzmann" genannt, wird auf folgendem Wege aus
den Umfrageergebnissen abgeleitet. Es werden Pfarrämter modellhaft
betrachtet, die nur für Pfarrertätigkeit i.e.S.
zuständig
und mit ein, zwei oder drei vollen Stellen ausgestattet sind.
(Größere Pfarrämter kamen in den Umfragen nicht vor)
Von
den 100, 200 oder 300% vorhandener Kapazität werden die empirisch
ermittelten, erforderlichen Fixanteile des Pfarramts abgezogen und der
für Proportionales verbleibende Rest durch Multiplikation mit dem
jeweiligen PF in Gliederzahlen umgerechnet. (Ergebnis für Winsen:
ca. 1.950/6.100/10.300 Glieder, für die Pfalz ca.
1.850/5.450/9.100
Glieder) Durch die so erhaltenen Stützstellen wird eine
Ausgleichsgerade gelegt mit der Gliederzahl als unabhängiger
Veränderlicher.
Die so begründete Anspruchsfunktion liefert für die
Pfarrämter eines PlanungsgebietsKapazitäts-Anspruchspunkte
in Abhängigkeit von der Anzahl der vom einzelnen Pfarramt zu
betreuenden Gemeindeglieder. Sie wird von der zum 100%-Pfarramt "ideal"
passenden Gliederzahl an benutzt. In Richtung kleinerer Gliederzahlen
wird
mit folgenden Nebenbedingungen hyperbolisch extrapoliert:
1.) Mit gegen Null tendierender Gliederzahl geht auch der Anspruch
gegen Null (und nicht gegen einen positiven Sockelwert).
2.) Der Übergang vom geraden in den gebogenen Ast erfolgt glatt
(d.h. ohne Sprung und ohne Knick).
Aus der Relation von gesamter, im
Planungsgebiet verfügbarer Kapazität zur Summe aller
Anspruchspunkte ergibt sich der Punktwert, mit dem dann aus den
Anspruchs-Punkten auf Kapazitäts-Ansprüche
umgerechnet wird.
Die so ermittelten Ansprüche werden nur selten mit rechtlich
machbaren Planstellen übereinstimmen. Normalerweise ist Rundung
nötig. Diese wiederum ist unkritisch, wenn der errechnete Stellenumfang nur
geringfügig von einem realisierbaren
Wert abweicht. Liegt hingegen der errechnete Wert mehr in der Mitte
zwischen 2 realisierbaren, muß
nicht stur nach mathematischen Regeln gerundet werden. Zumindest
ist überlegenswert, ob die Situation in der betroffenen
Kirchengemeinde Argumente für das Auf- oder Abrunden des
Stellenumfangs liefert.
In der Basisversion wird mit dem OK-Modell errechnet, wie die in
einem Planungsgebiet verfügbare Pfarrerkapazität für
Tätigkeit i.e.S. auf dessen Pfarrämter aufgeteilt werden
soll.
Muß zu erteilender Schulunterricht berücksichtigt werden,
werden die errechneten Bedarfe entsprechend korrigiert.
Programmtechnisch realisiert ist die Basisversion zu beiden Umfragen
mit wahlweiser Berücksichtigung der Unterrichtsverpflichtung.
Ergebnis sind Richtwerte für die Pfarrerkapazität.
Weitergehend können statt der Richtwerte pro Pfarramt die Anzahlen
realisierbarer
Pfarrerstellen errechnet werden. (Potentielle Modellnutzer
dürfen/sollten sich wegen Unterstützung an den Verfasser
wenden)
Vergleich der Ergebnisse
Der direkte Vergleich der genannten "idealen" Gliederzahlen und der
daraus abgeleiteten Punktefunktionen ist wiederum unergiebig. Die
Ergebnisse sind von der IST-Situation während der Umfragen
geprägt. So ist zwar plausibel, daß sich in der Pfalz
kleinere Gliederzahlen ergaben. Unzulässig ist aber der
Schluß, daß die Differenzen in den Gliederzahlen und der
damit reduzierte Betreuungsaufwand in gleich großen
Pfarrämtern genau der Mehrbelastung durch Schulunterricht
entsprechen.
5. Modellrechnungen
Modellrechnungen für zwei ganze Landeskirchen, jeweils mit der
Winsener
und der Pfälzer Variante durchgeführt, belegen die weite Nutzbarkeit des OK-Modells.
Einbezogen waren ca. 50 Dekanate (andernorts Kirchenkreise genannt) mit
einer Pfarrerkapazität von
ca. 1000 Stellen. Das Spektrum der vom einzelnen Pfarramt zu
betreuenden Anzahl von Kirchengliedern reichte von ca. 500 bis ca.
10.000 Personen.
Bei der Ermittlung, wie die finanzierbaren Stellen auf die Dekanate aufzuteilen sind, stellten sich trotz der unterschiedlichen Fundierung beider Modellvarianten nahezu identische Ergebnisse ein: Vor Rundung auf ganze Stellen differierten die errechneten Ansprüche in einem Fall um 2,1%, bei 10 Dekanaten lagen die Differenzen zwischen 1 und 2% und in allen anderen Dekanaten unter 1%. Beide Modellvarianten lieferten auch zu den Ansprüchen der einzelnen Kirchengemeinden bzw. der Pfarrämter praktisch identische Ergebnisse: Die Differenzen betrugen maximal 5% und für Gemeindegrößen zwischen etwa 1.500 und 3.500 Gliedern sogar nur unter 2%. Für die Mehrzahl der Interessenten heißt das, sie können das Winsener oder das Pfälzer Steuerungsmodell übernehmen und nicht nur die Grundidee. Für Planungsgebiete, in denen bei einer reinen Ergebnisübernahme nennenswerte Akzeptanzprobleme zu erwarten sind, empfiehlt sich eine weitere Pfarrerbefragung samt Herleitung eines spezifischen OK-Modells.
Da die in den Modellrechnungen verteilte Pfarrerkapazität mit
der seinerzeitigen IST-Ausstattung in den Landeskirchen
übereinstimmte, ist auch der SOLL-IST-Vergleich
aufschlußreich. Er offenbarte deutlichen Handlungsbedarf in beiden Landeskirchen.
Hier werden nur die gravierendsten Fehlsteuerungen angesprochen. In
etwa 20 mehrstelligen Pfarrämtern lag die IST-Ausstattung um mehr
als eine halbe Pfarrerstelle über den errechneten SOLL-Werten. Im
Durchschnitt dieser Gruppe waren es 67% einer Stelle, in zwei
Fällen sogar mehr als eine ganze Stelle. (Die hier tätigen
Pfarrer
können die "schönen Seiten des Pfarrerberufs genießen",
wie es ein unter ähnlichen Bedingungen tätiger Superintendent
formuliert hat.) Der Gruppe der stark überversorgten Gemeinden
stand
die gleiche Anzahl von einstelligen Pfarrämtern gegenüber,
deren SOLL-Ausstattung mindestens 1,38 Stellen betrug. Im Durchschnitt
dieser Gruppe betrug das SOLL 1,47 Stellen und im Maximum 1,70. ( Die
hier tätigen Pfarrer sind massiv überlastet oder die
Gemeindeglieder werden unzureichend betreut.) Würde aus jeder der
o.g. überversorgten Gemeinden eine 50%-Stelle zu einer der o.g.
unterversorgten Gemeinden verlagert, blieben alle abgebenden Gemeinden
überversorgt, und zwar im Schnitt mit 17% einer Stelle. Die
aufnehmenden Gemeinden wären dann im Schnitt mit 3% einer Stelle
überversorgt.
In einer der beiden Landeskirchen wurden die
Fehlsteuerungen inzwischen abgebaut. (Kommentar des Personaldezernenten
der anderen Landeskirche s. unten.)
6. Schlußbemerkungen
Auch ohne Kenntnis der vorgenannten Vergleichsrechnung wurde die
Winsener Variante nach den ersten Veröffentlichungen (1997 und
1998) bereits von mehreren Kirchenkreisen übernommen. Seit 2002
verteilt die Evangelische Kirche der Pfalz die Pfarrerstellen an ihre
Dekanate nach der "Methode Oetzmann". In zahlreichen
Planungsgebieten werden aber nach wie vor andere, teilweise recht
fragwürdige Methoden bei der Pfarrstellenbemessung genutzt. Die
daraus resultierenden Fehlsteuerungen schaden dem kirchlichen
Gesamtinteresse umso mehr, je weniger Stellen finanzierbar sind.
Der Wechsel zum OK-Modell empfiehlt sich insbesondere dort, wo noch
proportional-dominierte, multikriterielle oder gar feudale Verfahren
zum
Einsatz kommen. (Auskünfte oder weitergehende Beratung sind beim
Verfasser zu erhalten.) Nun eine Kurzkritik der genannten, ungeeigneten Verfahren!
Ein (seinerzeit auch veröffentlichtes)Teilergebnis der Studien war, daß ca. 50% der Pfarrerkapazität für Fixes benötigt wird. Die erfragten Werte lagen sogar deutlich über 50%. Aber selbst wenn man den befragten Pfarrern Übertreibung ihrer Fixanteile unterstellt, muß ein hinreichend großer Zeitanteil für Fixes zugestanden werden. Völlig absurd ist Stellenzuweisung proportional zur Gemeindegliederzahl (z.B. 1 Stelle bei 3.000, 2 Stellen bei 6.000, 3 Stellen bei 9.000 Gliedern usw.). Aber auch Fixanteile von 10 oder 20% sind zu gering. Proportional-dominierte Verfahren benachteiligen die Einzelpfarrer. Tendenziell werden sie überlastet und mehrstellige Pfarrämter zu üppig ausgestattet.
Bei multikriteriellen
Verfahren (z.B. "Odenwald") ist ebenfalls grundsätzliche Kritik
angezeigt. Die Rechenvorgänge sind zwar transparent, die
Ergebnisse
aber keineswegs per se gut oder "gerecht". Es gibt hier 2 generelle
Schwachstellen:
1.) die Auswahl der Kriterien
2.) die relative Gewichtung der Kriterien
Beidemal lassen sich fast nie objektiv richtige, allgemein akzeptable
Festlegungen finden. Das eröffnet Manipulationsmöglichkeiten,
was auch innerkirchlich bekannt ist. (Der Personaldezernent einer
EKD-Gliedkirche antwortete in einem 4-Augen-Gespräch auf die
Frage,
wie er die Gewichte festlegt, daß er die Gewichtung nimmt, die die von ihm gewünschten Ergebnisse
bringt.)
Weitere Beispiele belegen, daß der Gebrauch multikriterieller Verfahren im
aktuellen Kontext zumindest fragwürdig ist:
Die OK-Modellrechnung für eine Landeskirche, die seinerzeit und
wohl
noch immer Pfarrstellenbemessung nach "Odenwald" praktiziert(e),
belegte, daß dort in Mehr-Personen-Pfarrämtern fast
landeskirchenweit hohe Überkapazitäten existieren,
während viele Einzelpfarrer kalkulatorisch überlastet sind.
(Sinngemäßer Kommentar des Personaldezernenten: Das ist so
gewollt.)
In einem Kirchenkreis der hannoverschen Landeskirche wurden Kriterien
und Gewichtung so gewählt, daß große Gemeinden sogar
noch besser ausgestattet werden, als bei der oben schon als absurd
erkannten rein proportionalen
Kapazitätszuweisung. (Diese
systematische Benachteiligung kleiner Gemeinden scheint volle Absicht
zu sein; denn auch nachdem der Superintendent auf die Absurdität
des
dort verwendeten Steuerungsmodells hingewiesen wurde, wurde das Modell
unverändert angewendet.)
Die noch in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts
anzutreffenden,
selbstherrlichen Entscheidungen ("Ich als Superintendent weiß am
besten, wo wieviel Pfarrerkapazität nötig ist.
Stellenplanungsausschüsse und Steuerungsmodelle wie das OK-Modell
sind überflüssig"), deren feudaler Charakter sich hinter
verharmlosenden Begriffen versteckte, sollten inzwischen (hoffentlich!)
der
Vergangenheit angehören.
Abschließend ein paar Worte zur Aktualität (Inaktualität?) des
OK-Modells! Die Zahl der Planstellen für Gemeindepfarrer
ist im letzten Jahrzehnt (1997-2007) stark gesunken, und das wird sich
in der
nächsten Dekade fortsetzen. Der "Durchschnittspfarrer" wird
stärker belastet sein, obwohl die Pfarrerschaft insgesamt einen
Teil der Aufgaben abgeben wird, die sie kurz vor Ende des Millenniums
noch wahrgenommen hat. Würde eine der Pfarrerbefragungen
wiederholt, wären lokale Abweichungen bei den erfaßten Daten
zu erwarten. Wegen des hohen Abstraktionsgrades bei der Herleitung des
Kapazitäts-Steuerungsmodells werden derartige Abweichungen aber
allenfalls marginale Änderungen im Ergebnis bewirken. Daher bleibt
das OK-Modell noch für lange
Zeit nutzbar. Dringend änderungsbedürftig - mit
allenfalls wenigen Ausnahmen - sind
hingegen die Strukturen in den Planungsgebieten. Je nach Landeskirche
betrifft das deren Gliederung in Dekanate/Kirchenkreise oder innerhalb
des Dekanats/Kirchenkreises die Abgrenzung der Pfarramtsbezirke. Ob
auch Kirchengemeinden zusammengelegt werden sollten, mag dahingestellt
bleiben. Aber die Zuständigkeit der einzelnen Pfarrämter
sollte grundsätzlich von den Grenzen der einzelnen
Kirchengemeinden entkoppelt werden! Bleiben die in Abschnitt 2
genannten Ziele gültig, sind auf breiter Front Strukturänderungen erforderlich,
die z.B. im Bereich der hannoverschen Landeskirche über
"Regionen"-Bildung hinausgehen müssen.
Stand der Dokumentation: Feb 2007
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