Pfarrstellenbemessung in EKD-Gliedkirchen 

[ Verfasser: Prof. Dr. Gerhard Oetzmann / Auf dem Horn 5 / 21220 Seevetal ]

Inhalt:
    1.) Zusammenfassung
    2.) Problematik und Lösungsansatz
    3.) Pfarrerbefragungen
    4.) OK-Modell
    5.) Modellrechnungen
    6.) Schlußbemerkungen

1. Zusammenfassung
Die "gerechte" Verteilung der Gemeindepfarrerstellen bedeutet kein sonderliches Problem, solange sich die zu versorgenden Kirchengemeinden nicht allzu sehr unterscheiden. Differiert aber beispielsweise in einem Kirchenkreis die Gemeindegröße bzw. die von den einzelnen (Ein- oder Mehr-Personen-) Pfarrämtern zu betreuende Gliederzahl beträchtlich, sind häufig und wohl EKD-weit gravierende Fehlsteuerungen zu beobachten. Pfarrer in Ein-Personen-Pfarrämtern, sei es in Vollzeit- oder Teilzeittätigkeit, werden gegenüber ihren Kollegen in Mehr-Personen-Pfarrämtern benachteiligt, weil bei der Stellenbemessung der Fixanteil in der Tätigkeit der Gemeindepfarrer gar nicht oder nur unzureichend eingeplant wird. Empirische Studien des Verfassers aus den Jahren 1997 und 2001 deckten den latent bekannten Mißstand auf und gestatteten vor allem dessen Quantifizierung. Aus den Studienergebnissen wurde ein Verfahren zur Pfarrstellenbemessung abgeleitet, mit dem die Ungleichbelastung der Gemeindepfarrer bis auf einen zumutbaren Rest reduziert werden kann. Dieses Steuerungsmodell basiert auf einer abstrakten Sicht der Pfarrertätigkeit. Gewichtungen der realen Tätigkeitsfelder entfallen. Daher müssen die Pfarrer auch nicht herausstellen, warum gerade sie unter erschwerten Bedingungen tätig sind. Dennoch bleibt genügend Freiraum zur "Handsteuerung", um auf unstrittige Härtefälle eingehen zu können.
Abschließend erfolgt eine Kurzkritik einiger anderer Verfahren zur Pfarrstellenbemessung.
Ferner wird auf die Erfordernis von Strukturänderungen eingegangen.

2. Problematik und Lösungsansatz

Vordergründig betrachtet, stellt Pfarrstellenbemessung einen reinen Verteilungsvorgang dar. Die Zahl der in einem Planungsgebiet (z.B. einem Kirchenkreis oder einer ganzen Landeskirche) finanzierbaren Stellen für Gemeindepfarrer und die Zahl der von allen Nachfragern gewünschten Planstellen (z.B.  den Kirchengemeinden eines Kreises oder allen Kirchenkreisen einer Landeskirche) wird aufeinander abgestimmt und die Stellenbesetzung dann für die aktuelle Planungsperiode festgeschrieben. Diese Sicht wird aber der Sache nicht gerecht.

Erkannt werden muß, daß mit der Verteilung der Pfarrerkapazität maßgeblich in das kirchengemeindliche Leben in den Gemeinden des Planungsgebiets eingegriffen wird. Weiterhin muß erkannt werden, daß die Kirchengemeinden eines Planungsgebiets (oder gar die einzelnen Pfarrbezirke) keine Ansammlung von separat zu betrachtenden Einheiten sind. Zwischen ihnen bestehen (direkte oder indirekte) Interdependenzen. Deshalb ist die ganzheitliche Sicht auf das Planungsgebiet nötig. Abstraktion zeigt dann den Weg hin zur Problemlösung.

Die Kirchengemeinden des Planungsgebiets bilden ein "dynamisches kybernetisches System", abkürzend "Prozeß" genannt. Dieser gehört zur Klasse der "sozialen Prozesse". Pfarrstellenbemessung ist damit als Akt der Prozeßsteuerung erkannt. Dazu liefert die Systemtheorie bzw. die sie umfassende Kybernetik allgemein gültige Erkenntnisse. Diese sollten bei Entwicklung und Einsatz einer Methode zur Stellenbemessung unbedingt beachtet werden.

Eine Kybernetik-Grunderkenntnis, die wohl unmittelbar nachvollziehbar ist, ist Folgendes: Wenn ein Prozeß eine Ressource nach einer bestimmten Gesetzmäßigkeit verbraucht, sollte diese Ressource möglichst nach der gleichen Gesetzmäßigkeit zugeführt werden. Geschieht das nicht, gerät der Prozeß im Regelfall aus dem Gleichgewicht und kann im Extremfall kollabieren.

Wird seitens der Planungsverantwortlichen nicht beabsichtigt, das kirchengemeindliche Leben gravierend oder gar revolutionsartig zu ändern, sollte daher zuerst das Verbrauchsgesetz für Pfarrerkapazität ermittelt werden. Das bedeutet aber nicht, mit Qualitätsanforderungen wie an naturwissenschaftliche Gesetze die Formel zu suchen, die hochpräzise den realen Verbrauch an Pfarrerkapazität im aktuellen Planungsgebiet beschreibt. Da die später mit dieser Formel zu ermittelnden Kapazitäts-Ansprüche um mehrere Zehntel auf rechtlich machbare Stellen gerundet werden müssen, reicht eine Tendenzaussage über den Verbrauch an Pfarrerkapazität in Abhängigkeit von der Gemeindegliederzahl und allenfalls von sehr wenigen anderen Parametern.

Die abstrakte Sicht auf die Arbeit der Gemeindepfarrer zeigt nun, daß sich alle pfarramtlichen Aktivitäten aus "fixen" und "proportionalen" Anteilen zusammensetzen. Von der Gemeindegliederzahl unabhängiger Aufwand wird hier als "fix" bezeichnet, und mit "proportional" solche Aktivitäten, deren Zeitbedarf sich proportional zur Gliederzahl verhält. Für die Formulierung des Verbrauchsgesetzes heißt das, neben der Gliederzahl sind keine weiteren Parameter nötig, und es reicht eine lineare Funktion. Beispiel eines rein proportionalen Arbeitsfeldes sind die Kasualien, rein fix ist beispielsweise die eigene Weiterbildung und Konfirmandenunterricht ist ein Arbeitsfeld, das neben fixen auch proportionale Anteile enthält.

Bis in die 90er Jahre hinein (in einigen Regionen aber auch danach!) wurde bei der Pfarrstellenbemessung vielerorts großzügig vorgegangen. Eine Folge ist die damals verbreitet zu beobachtende Überversorgung großer Kirchengemeinden, verglichen mit den anderen Gemeinden des jeweiligen Planungsgebiets. Daneben gibt es auch Regionen, in denen selbst kleinen Kirchengemeinden (ca. 1.000 Glieder oder weniger) eine ganze Pfarrerstelle und das heißt Überkapazität bewilligt wurde. Je kleiner aber die Anzahl der in einem kirchlichen Planungsgebiet finanzierbaren Stellen für Gemeindepfarrer wird, desto sorgfältiger muß die Verteilung der Pfarrerkapazität auf die nachfragenden Instanzen erfolgen.
Wem es gelingt, sich von der lokalen Sicht auf die eigene Kirchengemeinde zu lösen, der sollte folgende Ziele als anstrebenswert erkennen: Die Pfarrerkapazität ist so zu verteilen, daß
1.) alle Gemeindepfarrer gleich stark mit Arbeit belastet sind und
2.) alle Kirchenglieder gleich intensiv von ihren Pfarrern betreut werden können.
Dabei ist Punkt 2 so zu verstehen, daß in allen Kirchengemeinden die gleiche Relation ("PF") zwischen der für Proportionales verfügbaren Pfarrerkapazität und der zu betreuenden Zahl von Gliedern besteht.

Um diese Ziele (vom Grundsatz her) erreichen zu können, muß zweierlei festgelegt bzw. ermittelt werden:
1.) Der Proportionalitätsfaktor  PF.
2.) Der Kapazitätsansatz für Fixaufwand im einzelnen Pfarramt.
Dabei darf nicht übersehen werden, daß der Fixaufwand von der Pfarramtsgröße abhängt! Bei beispielsweise 9.000 Gliedern und 3 Pfarrern fällt mehr Fixes an als bei 2.500 Gliedern und einem Pfarrer.

Der Verfasser erachtet als aussichtslos, die genannten Kenngrößen auf deduktivem Wege ermitteln zu wollen. Deshalb wurde empirisch (induktiv) vorgegangen. Die erforderlichen Kennzahlen werden aus der realen Pfarrertätigkeit gewonnen. Dabei wird unterstellt, daß die derzeit tätigen Pfarrer ihren Beruf (zumindest weitgehend) in sachangemessener Weise ausüben.

3. Pfarrerbefragungen
An empirischen Methoden stehen Befragung und Beobachtung der Pfarrer zur Verfügung. Die Fremdbeobachtung entfällt allein aus Kostengründen. Gegen die Selbstbeobachtung sprechen mehrere Gründe. Beispielsweise würde sie kaum jemand über den repräsentativen Zeitrahmen von einem Jahr durchhalten. Daneben ist zu fürchten, daß verschiedene Personen vergleichbare Aktivitäten unterschiedlich klassifizieren. Weiterhin wäre anzunehmen, daß vergleichbare Aktivitäten von einzelnen Pfarrern protokolliert, von anderen aber weggelassen würden. Die Befragung per zugestelltem Fragebogen hätte ähnliche Schwachstellen wie die Selbstbeobachtung. Deshalb wurde die reale Pfarrertätigkeit in strukturierten Interviews erfaßt, die sämtlich vom Verfasser durchgeführt wurden. Zwei derartige Umfragen liefen in den Jahren 1997 und 2001.

Ziel der Befragungen war, Kennzahlen zu gewinnen, die die Pfarrertätigkeit eines Jahres beschreiben. Dazu wurde jedem Befragten eine Liste von gut 10 Arbeitsfeldern vorgelegt. Der Befragte rekonstruierte die zeitliche  Verteilung seiner Tätigkeit, ausgehend vom geschätzten, wöchentlichen Zeitaufwand für die einzelnen Arbeitsfelder. Der Interviewer assistierte bei Zuordnungsproblemen, beim Bemühen um Vollständigkeit und bei der Umrechnung von der Einheit "Stunden" auf die prozentuale Verteilung.

Unwahrscheinlich ist, daß die Antworten der objektiven Wahrheit entsprechen. So reichte beispielsweise die (angebliche) wöchentliche Durchschnitts-Arbeitszeit der Vollzeitpfarrer von unter 40 bis über 70 Stunden. Die zu vermutende individuelle Prägung der Antworten wurde aber dadurch weitgehend neutralisiert, daß die Auswertung auf der prozentualen Aufteilung der gesamten Tätigkeit des einzelnen Pfarrers basiert und nicht auf absolutem Zeitaufwand.  

Zensur fand selbst bei offensichtlichen Falschaussagen nicht statt. Beispiel ist der von einem Pfarrer behauptete Aufwand von durchschnittlich 26 Stunden für die Vorbereitung des sonntäglichen Regelgottesdienstes (bei einer Wochenarbeitszeit von in diesem Fall unter 70 Stunden). Der Einfluß solcher Antworten auf die Ergebnisse reduziert sich zum einen, weil wohl auch Untertreibungen vorkamen. So benötigte ein Pfarrer durchschnittlich nur 2 Stunden für die Vorbereitung seines Gottesdienstes. Zum andern wurden beim Komprimieren der Einzelantworten statt des gewöhnlichen arithmetischen Mittels "Mittelwerte zweiter Stufe" benutzt. Dabei werden die im mittleren Bereich des jeweiligen Antwortspektrums liegenden Antworten stärker, die an den Rändern liegenden schwächer gewichtet.

Erkannt werden muß, daß die Angaben zu den einzelnen Arbeitsfeldern nur eine Zwischenstufe darstellen. Die befragten Pfarrer mußten auch einschätzen, wie das einzelne Arbeitsfeld auf die Kategorien Fix und Proportional aufzuteilen ist. Als Endantwort des einzelnen Pfarrers ergaben sich der Fix- und der Proportionalanteil seiner Tätigkeit. Diese individuellen Werte wurden dann weiter komprimiert zu insgesamt 3 Kennzahlen pro Umfrage.

Besonders wichtig bei der Bewertung der ermittelten Kennzahlen ist zu beachten, daß die Aussagen zum Fixanteil und zur Betreuungsleistung gekoppelt sind. Sollte beim Fixanteil der eigenen Arbeit versehentlich oder absichtlich von vielen Interviewten übertrieben worden sein (z.B. 26 h Predigtvorbereitung), wurde zugleich bei der Betreuungsleistung übertrieben (großes PF). In dem noch abzuleitenden Steuerungsmodell für Pfarrerkapazität haben solche Übertreibungen aber allenfalls marginale Folgen, weil sie sich weitgehend oder vollständig neutralisieren.

Erste Umfrage
Im Frühjahr 1997 wurden alle 21 Voll- und Teilzeit-Gemeindepfarrer des zur Ev.-luth. Landeskirche Hannovers gehörenden Kirchenkreises Winsen/Luhe befragt. Die Pfarrerstellen waren auf 15 Pfarrämter verteilt. In die Auswertung ging zusätzlich von Diakonen erbrachte "Pfarrerleistung" im Umfang von ca. einer Pfarrerstelle ein.

Die Zusammenfassung der Antworten nach Pfarrämtern, in Relation gesetzt zur Anzahl der jeweils zu betreuenden Kirchenglieder ergab  PF=5.570. Mit diesem Wert muß später der in einem Pfarramt für Proportionales verfügbare Teil der gesamten Pfarrerkapazität multipliziert werden, um die "ideale" Gliederzahl zu erhalten.

Mit Blick auf das Steuerungsproblem, bei dem über den Kapazitäts-Bedarf der einzelnen Kirchengemeinden bzw. der Pfarrämter argumentiert wird, wurde aus den Antworten "Übergemeindliches" herausgenommen, weil es aus Gemeindesicht nicht erforderlich ist. Der Rest wurde wieder  auf 100% normiert. Hierauf basieren die weiteren Auswertungen.
Gestützt auf die Antworten der Vollzeitpfarrer, die in einstelligen Pfarrämtern wirkten, ergab sich dann als Fixansatz im 100%-Pfarramt  ca. 65% der Stelle
Gestützt auf die Antworten aller Vollzeitpfarrer zu den relevanten Arbeitsfeldern ergab sich als Fixansatz für weitere Vollzeitpfarrer im Pfarramt je ca. 25% einer Stelle.
Anzumerken ist, daß beim Fixanteil für den ersten Pfarrer der gemeindebezogene Teil dominiert. Die Ansätze für weitere Pfarrer enthalten neben personenbezogenen auch gemeindebezogene Teile sowie den Aufwand zur Pfarrerkoordinierung in mehrstelligen Pfarrämtern.

Zweite Umfrage
Im Jahre 2001 wurde eine analoge Umfrage im Bereich der Evangelischen Kirche der Pfalz durchgeführt. Sie erstreckte sich auf 50 Pfarrer aus 32 repräsentativ ausgewählten Kirchengemeinden mit jeweils eigenem Pfarramt. Die Arbeitsfelder waren diesmal etwas anders abgegrenzt.  Wichtig ist zu wissen, daß Pfälzer Pfarrer regelmäßig als Lehrer an Schulen tätig sind. Die nachstehenden Zahlen beziehen sich auf die Pfarrertätigkeit im engeren Sinne (i.e.S.). Lehrtätigkeit bleibt ausgeblendet. Sie wird später bei den Modellrechnungen eingearbeitet.

Als Umrechnungsfaktor ergab sich PF=4.994.
Auch bei dieser Umfrage wurde Übergemeindliches herausgenommen und der Rest wieder auf 100% normiert.
Gestützt auf die Antworten der Vollzeitpfarrer, die in einstelligen Pfarrämtern wirkten, ergab sich dann als Fixansatz im 100%-Pfarramt  ca. 63%.
Gestützt auf die Antworten aller Vollzeitpfarrer zu den relevanten Arbeitsfeldern ergab sich als Fixansatz für weitere Vollzeitpfarrer im Pfarramt je ca. 28%.

Vergleich der Ergebnisse
Der Vergleich der vorstehend genannten Zahlen ist aus verschiedenen Gründen wenig sinnvoll. Ein Grund wurde schon angesprochen: Eine Pfarrergruppe erteilt zusätzlich Schulunterricht, die andere nicht. Ein zweiter ist die unterschiedliche Bezugsgröße bei der Berechnung der Prozentwerte. Wird beispielsweise die Betreuungsleistung der Pfälzer Pfarrer auf ihre gesamte Tätigkeit und nicht auf die Pfarrertätigkeit i.e.S. bezogen, ergibt sich PF=5.675, also ein Wert, der nicht mehr weit unter, sondern geringfügig über dem Winsener PF-Wert liegt. Diese PF-Werte dürfen miteinander verglichen werden. Die Abweichung könnte bedeuten, daß Pfälzer Pfarrer bei ihrer Tätigkeit i.e.S. andere Akzente setzen als ihre Winsener Amtskollegen. Ebensogut könnten die Pfälzer bei ihren Fixanteilen stärker übertrieben haben als die Winsener Pfarrer. Das ist aber nicht nachprüfbar, so daß der punktuelle Vergleich der Ergebnisse unergiebig ist. Informativer ist, später die mit beiden Varianten des Kapazitäts-Steuerungsmodells erzielten Ergebnisse zu vergleichen.

4. OK-Modell
Das OK-Modell (Oetzmanns Kapazitätssteuerungs-Modell) zur Steuerung der Pfarrerkapazität in einem Planungsgebiet, von Anwendern auch "Methode Oetzmann" genannt, wird auf folgendem Wege aus den Umfrageergebnissen abgeleitet. Es werden Pfarrämter modellhaft betrachtet, die nur für Pfarrertätigkeit i.e.S. zuständig und mit ein, zwei oder drei vollen Stellen ausgestattet sind. (Größere Pfarrämter kamen in den Umfragen nicht vor) Von den 100, 200 oder 300% vorhandener Kapazität werden die empirisch ermittelten, erforderlichen Fixanteile des Pfarramts abgezogen und der für Proportionales verbleibende Rest durch Multiplikation mit dem jeweiligen PF in Gliederzahlen umgerechnet. (Ergebnis für Winsen: ca. 1.950/6.100/10.300 Glieder, für die Pfalz ca. 1.850/5.450/9.100 Glieder)  Durch die so erhaltenen Stützstellen wird eine Ausgleichsgerade gelegt mit der Gliederzahl als unabhängiger Veränderlicher.

Die so begründete Anspruchsfunktion liefert für die Pfarrämter eines PlanungsgebietsKapazitäts-Anspruchspunkte in Abhängigkeit von der Anzahl der vom einzelnen Pfarramt zu betreuenden Gemeindeglieder. Sie wird von der zum 100%-Pfarramt "ideal" passenden Gliederzahl an benutzt. In Richtung kleinerer Gliederzahlen wird mit folgenden Nebenbedingungen hyperbolisch extrapoliert:
1.) Mit gegen Null tendierender Gliederzahl geht auch der Anspruch gegen Null (und nicht gegen einen positiven Sockelwert).
2.) Der Übergang vom geraden in den gebogenen Ast erfolgt glatt (d.h. ohne Sprung und ohne Knick).
Aus der Relation von gesamter, im Planungsgebiet verfügbarer Kapazität zur Summe aller Anspruchspunkte ergibt sich der Punktwert, mit dem dann aus den Anspruchs-Punkten auf Kapazitäts-Ansprüche umgerechnet wird.
Die so ermittelten Ansprüche werden nur selten mit rechtlich machbaren Planstellen übereinstimmen. Normalerweise ist Rundung nötig. Diese wiederum ist unkritisch, wenn der errechnete Stellenumfang nur geringfügig von einem realisierbaren Wert abweicht. Liegt hingegen der errechnete Wert mehr in der Mitte zwischen 2 realisierbaren, muß nicht stur nach mathematischen Regeln gerundet werden. Zumindest ist überlegenswert, ob die Situation in der betroffenen Kirchengemeinde Argumente für das Auf- oder Abrunden des Stellenumfangs liefert.

In der Basisversion wird mit dem OK-Modell errechnet, wie die in einem Planungsgebiet verfügbare Pfarrerkapazität für Tätigkeit i.e.S. auf dessen Pfarrämter aufgeteilt werden soll. Muß zu erteilender Schulunterricht berücksichtigt werden, werden die errechneten Bedarfe entsprechend korrigiert.
Programmtechnisch realisiert ist die Basisversion zu beiden Umfragen mit wahlweiser Berücksichtigung der Unterrichtsverpflichtung. Ergebnis sind Richtwerte für die Pfarrerkapazität. Weitergehend können statt der Richtwerte pro Pfarramt die Anzahlen realisierbarer Pfarrerstellen errechnet werden. (Potentielle Modellnutzer dürfen/sollten sich wegen Unterstützung an den Verfasser wenden)

Vergleich der Ergebnisse
Der direkte Vergleich der genannten "idealen" Gliederzahlen und der daraus abgeleiteten Punktefunktionen ist wiederum unergiebig. Die Ergebnisse sind von der IST-Situation während der Umfragen geprägt. So ist zwar plausibel, daß sich in der Pfalz kleinere Gliederzahlen ergaben. Unzulässig ist aber der Schluß, daß die Differenzen in den Gliederzahlen und der damit reduzierte Betreuungsaufwand in gleich großen Pfarrämtern genau der Mehrbelastung durch Schulunterricht entsprechen.

5. Modellrechnungen
Modellrechnungen für zwei ganze Landeskirchen, jeweils mit der Winsener und der Pfälzer Variante durchgeführt, belegen die weite Nutzbarkeit des OK-Modells. Einbezogen waren ca. 50 Dekanate (andernorts Kirchenkreise genannt) mit einer Pfarrerkapazität von ca. 1000 Stellen. Das Spektrum der vom einzelnen Pfarramt zu betreuenden Anzahl von Kirchengliedern reichte von ca. 500 bis ca. 10.000 Personen.

Bei der Ermittlung, wie die finanzierbaren Stellen auf die Dekanate aufzuteilen sind, stellten sich trotz der unterschiedlichen Fundierung beider Modellvarianten nahezu identische Ergebnisse ein: Vor Rundung auf ganze Stellen differierten die errechneten Ansprüche in einem Fall um 2,1%, bei 10 Dekanaten lagen die Differenzen zwischen 1 und 2% und in allen anderen Dekanaten unter 1%. Beide Modellvarianten lieferten auch zu den Ansprüchen der einzelnen Kirchengemeinden bzw. der Pfarrämter  praktisch identische Ergebnisse: Die Differenzen betrugen maximal 5% und für Gemeindegrößen zwischen etwa 1.500 und 3.500 Gliedern sogar nur unter 2%. Für die Mehrzahl der Interessenten heißt das, sie können das Winsener oder das Pfälzer Steuerungsmodell übernehmen und nicht nur die Grundidee. Für Planungsgebiete, in denen bei einer reinen Ergebnisübernahme nennenswerte Akzeptanzprobleme zu erwarten sind, empfiehlt sich eine weitere Pfarrerbefragung samt Herleitung eines spezifischen OK-Modells.

Da die in den Modellrechnungen verteilte Pfarrerkapazität mit der seinerzeitigen IST-Ausstattung in den Landeskirchen übereinstimmte, ist auch der SOLL-IST-Vergleich aufschlußreich. Er offenbarte deutlichen Handlungsbedarf in beiden Landeskirchen. Hier werden nur die gravierendsten Fehlsteuerungen angesprochen. In etwa 20 mehrstelligen Pfarrämtern lag die IST-Ausstattung um mehr als eine halbe Pfarrerstelle über den errechneten SOLL-Werten. Im Durchschnitt dieser Gruppe waren es 67% einer Stelle, in zwei Fällen sogar mehr als eine ganze Stelle. (Die hier tätigen Pfarrer können die "schönen Seiten des Pfarrerberufs genießen", wie es ein unter ähnlichen Bedingungen tätiger Superintendent formuliert hat.) Der Gruppe der stark überversorgten Gemeinden stand die gleiche Anzahl von einstelligen Pfarrämtern gegenüber, deren SOLL-Ausstattung mindestens 1,38 Stellen betrug. Im Durchschnitt dieser Gruppe betrug das SOLL 1,47 Stellen und im Maximum 1,70. ( Die hier tätigen Pfarrer sind massiv überlastet oder die Gemeindeglieder werden unzureichend betreut.) Würde aus jeder der o.g. überversorgten Gemeinden eine 50%-Stelle zu einer der o.g. unterversorgten Gemeinden verlagert, blieben alle abgebenden Gemeinden überversorgt, und zwar im Schnitt mit 17% einer Stelle. Die aufnehmenden Gemeinden wären dann im Schnitt mit 3% einer Stelle überversorgt.
In einer der beiden Landeskirchen wurden die Fehlsteuerungen inzwischen abgebaut. (Kommentar des Personaldezernenten der anderen Landeskirche s. unten.)

6. Schlußbemerkungen
Auch ohne Kenntnis der vorgenannten Vergleichsrechnung wurde die Winsener Variante nach den ersten Veröffentlichungen (1997 und 1998) bereits von mehreren Kirchenkreisen übernommen. Seit 2002 verteilt die Evangelische Kirche der Pfalz die Pfarrerstellen an ihre Dekanate nach der "Methode Oetzmann". In zahlreichen Planungsgebieten werden aber nach wie vor andere, teilweise recht fragwürdige Methoden bei der Pfarrstellenbemessung genutzt. Die daraus resultierenden Fehlsteuerungen schaden dem kirchlichen Gesamtinteresse umso  mehr, je weniger Stellen finanzierbar sind. Der Wechsel zum OK-Modell empfiehlt sich insbesondere dort, wo noch proportional-dominierte, multikriterielle oder gar feudale Verfahren zum Einsatz kommen. (Auskünfte oder weitergehende Beratung sind beim Verfasser zu erhalten.) Nun eine Kurzkritik der genannten, ungeeigneten Verfahren!

Ein (seinerzeit auch veröffentlichtes)Teilergebnis der Studien war, daß ca. 50% der Pfarrerkapazität für Fixes benötigt wird. Die erfragten Werte lagen sogar deutlich über 50%. Aber selbst wenn man den befragten Pfarrern Übertreibung ihrer Fixanteile unterstellt, muß ein hinreichend großer Zeitanteil für Fixes zugestanden werden. Völlig absurd ist Stellenzuweisung proportional zur Gemeindegliederzahl (z.B. 1 Stelle bei 3.000, 2 Stellen bei 6.000, 3 Stellen bei 9.000 Gliedern usw.). Aber auch Fixanteile von 10 oder 20% sind zu gering. Proportional-dominierte Verfahren benachteiligen die Einzelpfarrer. Tendenziell werden sie überlastet und mehrstellige Pfarrämter zu üppig ausgestattet.

Bei multikriteriellen Verfahren (z.B. "Odenwald") ist ebenfalls grundsätzliche Kritik angezeigt. Die Rechenvorgänge sind zwar transparent, die Ergebnisse aber keineswegs per se gut oder "gerecht". Es gibt hier 2 generelle Schwachstellen:
1.) die Auswahl der Kriterien
2.) die relative Gewichtung der Kriterien
Beidemal lassen sich fast nie objektiv richtige, allgemein akzeptable Festlegungen finden. Das eröffnet Manipulationsmöglichkeiten, was auch innerkirchlich bekannt ist. (Der Personaldezernent einer EKD-Gliedkirche antwortete in einem 4-Augen-Gespräch auf die Frage, wie er die Gewichte festlegt, daß er die Gewichtung nimmt, die die von ihm gewünschten Ergebnisse bringt.)
Weitere Beispiele belegen, daß der Gebrauch multikriterieller Verfahren im aktuellen Kontext zumindest fragwürdig ist:
Die OK-Modellrechnung für eine Landeskirche, die seinerzeit und wohl noch immer Pfarrstellenbemessung nach "Odenwald" praktiziert(e), belegte, daß dort in Mehr-Personen-Pfarrämtern fast landeskirchenweit hohe Überkapazitäten existieren, während viele Einzelpfarrer kalkulatorisch überlastet sind. (Sinngemäßer Kommentar des Personaldezernenten: Das ist so gewollt.)
In einem Kirchenkreis der hannoverschen Landeskirche wurden Kriterien und Gewichtung so gewählt, daß große Gemeinden sogar noch besser ausgestattet werden, als bei der oben schon als absurd erkannten rein proportionalen Kapazitätszuweisung. (Diese systematische Benachteiligung kleiner Gemeinden scheint volle Absicht zu sein; denn auch nachdem der Superintendent auf die Absurdität des dort verwendeten Steuerungsmodells hingewiesen wurde, wurde das Modell unverändert angewendet.)

Die noch in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts anzutreffenden, selbstherrlichen Entscheidungen ("Ich als Superintendent weiß am besten, wo wieviel Pfarrerkapazität nötig ist. Stellenplanungsausschüsse und Steuerungsmodelle wie das OK-Modell sind überflüssig"), deren feudaler Charakter sich hinter verharmlosenden Begriffen versteckte, sollten inzwischen (hoffentlich!) der Vergangenheit angehören.

Abschließend ein paar Worte zur Aktualität (Inaktualität?) des OK-Modells! Die Zahl der Planstellen für Gemeindepfarrer ist im letzten Jahrzehnt (1997-2007) stark gesunken, und das wird sich in der nächsten Dekade fortsetzen. Der "Durchschnittspfarrer" wird stärker belastet sein, obwohl die Pfarrerschaft insgesamt einen Teil der Aufgaben abgeben wird, die sie kurz vor Ende des Millenniums noch wahrgenommen hat. Würde eine der Pfarrerbefragungen wiederholt, wären lokale Abweichungen bei den erfaßten Daten zu erwarten. Wegen des hohen Abstraktionsgrades bei der Herleitung des Kapazitäts-Steuerungsmodells werden derartige Abweichungen aber allenfalls marginale Änderungen im Ergebnis bewirken. Daher bleibt das OK-Modell noch für lange Zeit nutzbar. Dringend änderungsbedürftig - mit allenfalls wenigen Ausnahmen - sind hingegen die Strukturen in den Planungsgebieten. Je nach Landeskirche betrifft das deren Gliederung in Dekanate/Kirchenkreise oder innerhalb des Dekanats/Kirchenkreises die Abgrenzung der Pfarramtsbezirke. Ob auch Kirchengemeinden zusammengelegt werden sollten, mag dahingestellt bleiben. Aber die Zuständigkeit der einzelnen Pfarrämter sollte grundsätzlich von den Grenzen der einzelnen Kirchengemeinden entkoppelt werden! Bleiben die in Abschnitt 2 genannten Ziele gültig, sind auf breiter Front Strukturänderungen erforderlich, die z.B. im  Bereich der hannoverschen Landeskirche über "Regionen"-Bildung hinausgehen müssen.


Stand der Dokumentation:    Feb 2007

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